Martin Görisch; DIN A5; 134 S.
Vorwort
Wenigstens kann das Publikum, das gewisse Mysterien nicht kennt und durch die schwere dunkle Hülle der Allegorie nicht durchzublicken vermag, [der Oper] unmöglich einiges Interesse abgewinnen.
Joh. Jak. Engel an Friedrich Wilhelm II. (1792)
(Zit. nach: Assmann, S. 7)
Nun enthält Die Zauberflöte (...) zahlreiche Ungereimtheiten, dramaturgische Schwächen oder gar Fehler, Verstöße gegen jede Logik.
(Pahlen, S. 157)
... eine ziemlich verworrene Angelegenheit!
(Werner-Jensen, S. 69)
Verwirrend, ja, aber nicht zwingend verworren! Der eben zitierte Werner-Jensen führt die vermeintlichen Widersprüche in seinem Opernführer auf schiere Schlamperei zurück. Diese „haben ihre Ursache wohl darin, daß Schikaneder während der Arbeit das Textbuch aus Gründen, die wir heute nur noch ahnen können, mehrfach abgeändert hat. Dabei ist offensichtlich der Überblick über die Handlung ein wenig verloren gegangen, und es fehlte auch einfach die Zeit für Korrekturen – man schrieb damals eben nicht Opern für die Nachwelt, sondern für den täglichen Bedarf im Theater!
Mozarts Musik bewirkt indessen, daß man diese kleinen Schönheitsfehler im Text kaum bemerkt.“ (Werner-Jensen, S. 75)
„Einzig Mozarts Musik sichert diesem Werk voller Widersprüche eine gewisse Stimmigkeit ...“ (Jansen, S. 77)
Schikaneder hat also den Überblick verloren und Mozart hat sich auch nicht darum gekümmert, was er da gerade vertonte? Umso erstaunlicher, dass der Zauberflöte – „[u]ngeachtet der dramaturgischen Schwächen ...“ (Jansen, S. 77) – auch heute noch so großer Erfolg beschieden ist. Vielleicht ist es aber auch nur zu bequem, dem Librettisten den Schwarzen Peter zuzuschieben und den Erfolg einfach mit dem Etikett Mozart zu verknüpfen.
Diese „kleinen Schönheitsfehler im Text“ sind a prima vista gar nicht so klein. Darum war es lange Zeit üblich, „den Text der ›Zauberflöte‹ kindisch zu finden, wieder einmal zu bedauern, daß Mozart seine himmlische Musik an ein so albernes Libretto verschwendet“ hat (Schmidt-Garre, S. 151). Aber natürlich gab es auch viele Interpreten und Autoren, die sich mehr, teilweise auch weniger redlich mühten, die Risse in der Handlung zu kitten. Im Laufe der mehr als 200-jährigen Rezeptionsgeschichte wurde dem Werk ein Wust von Deutungen und Andeutungen übergestülpt, welche unterschiedlicher kaum sein konnten. Das liegt in der Tat auch in der Oper selbst begründet, aber nicht im Unvermögen des „g’schlamperten“ Librettisten, denn:
„Zeitkritik in den Zeiten der Zensur durch Ironie und Symbole in die Welt zu schmuggeln war von je der einzige Ausweg der Freigeister in den Epochen der Verdüsterung. Man mußte es verstehen, die allerheikelsten Dinge an den Schranken der Zensur vorbeizuschreiben, oft geschützt durch ein rasch übergestülptes Narrengewand.“ (N.N., zit. nach: Rosenstrauch-Königsberg, S. 154)
Goethe, „entzückt von ihrer Originalität und Vollkommenheit“ (Rosenberg, S. 10), hielt den Kritikern der Oper entgegen: „Es gehört mehr Bildung dazu, den Wert dieses Opernbuches zu erkennen, als ihn abzuleugnen ...“ (Zit. nach: Schmidt-Garre, S. 151)
Dem hier vorliegenden Versuch einer Deutung soll der wohl wichtigste Antagonismus der damaligen Zeit zugrunde gelegt werden, nämlich der zwischen der katholischen Kirche und der Monarchie einerseits und der Aufklärung und der Freimaurerei andererseits. Zwar führte das Reformprogramm des Josephinismus zu teilweise massiven Spannungen zwischen der Krone und der Kirche, allerdings sah sich Joseph II., der sich als aufgeklärten Absolutisten verstanden haben wollte, in seinen letzten Jahren gezwungen, viele seiner Reformprogramme wieder zurückzunehmen. Um diesen Konflikt zu pointieren, wird die Königin der Nacht als Vertreterin der katholischen Kirche und der römischen Inquisition aufgefasst, wohingegen Sarastro für den Grafen von Cagliostro, den damals berühmten führenden Kopf der Freimaurerei, und die Ideale der Aufklärung stehen soll.
Es handelt sich dabei, das sei vermerkt, um eine Deutungshypothese, die einige Details enthält, die sich kaum oder höchstens unter größten Schwierigkeiten beweisen lassen. Sie darf aber für sich in Anspruch nehmen, die o.g. „kleinen Schönheitsfehler im Text“ aufzulösen und die Handlung insgesamt logisch stringent erscheinen zu lassen. Dieser Deutungsansatz greift das auf, was zu der Zeit, als die Oper geschrieben und aufgeführt wurde (die Uraufführung fand im Jahr 1791 in Wien statt, zwei Jahre nach Beginn der Französischen Revolution), die Gesellschaft in politischer, religiöser und kultureller Hinsicht bewegte.
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Artikelnummer: 978-3-937628-25-7
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